Nicht schön genug???

August 19, 2021 Off By BlauerEngel

Am Montag haben wir eine schlechte Nachricht aus Marburg, vom Landesamt für Denkmalschutz, erhalten:

Sehr geehrte Frau Ninnsger,
anhand der Fotos gelingt es uns nicht, die Schlagmühle bei Frischborn als ein Kulturdenkmal nach § 2 Abs. 1 HDSchG zu erkennen. Auch wenn sicherlich eine gewisse historische Bedeutung nicht von der Hand zu weisen ist, ist die auf den Fotos sichtbare Bausubstanz im Augenblick von eher durchschnittlicher Qualität und sind besondere, schützenswerte Bestandteile und Details nicht erkennbar.  
Da das Gebäude auch in der Einleitung zu Frischborn in der Denkmaltopographie erwähnt wird, ist klar, dass sich der Bearbeiter der Denkmaltopographie die Mühle im Rahmen der systematischen Erfassung angesehen hat. Die Lage weit außerhalb des Dorfes schließt die Aufnahme in die Gesamtanlage aus.
Dennoch handelt es sich zweifelsohne um ein altes, erhaltenswürdiges Haus, dessen Charme bei einem entsprechenden werk- und materialgerechten Ansatz noch herauszuarbeiten wünschenswert wäre.
Mit freundlichen Grüßen

Kurz und knapp ausgedrückt: Die Schlagmühle ist in ihrem jetzigen Zustand nicht schön genug, um sie besonders zu schützen. Aber natürlich stehen die Sachbearbeitenden auf dem Standpunkt, dass eine denkmalgerechte Sanierung trotzdem durchgeführt werden sollte.

????Häh????

Das können wir ja jetzt gar nicht nachvollziehen… Immerhin hieß es keine drei Wochen vorher noch, nachdem ich eine erste Beschreibung der Schlagmühle an das Amt für Bauen und Umwelt des Vogelsbergkreises (Untere Denkmalschutzbehörde im Vogelsbergkreis) geschickt habe, das von dort an das Landesamt für Denkmalschutz weitergeleitet wurde, von eben jenem Landesamt in Marburg, gleicher Absender wie oben:

Hallo […],
das sieht sehr interessant aus! Ich leite es an den für die Denkmalerfassung zuständigen Kollegen […] weiter. Zunächst wären weitere Fotos – insb. auch des Inneren – für eine Beurteilung hilfreich.
Ein Ortstermin zusammen mit […] können wir wohl erst Ende September durchführen, aber wir sollten uns dazu erst einmal intern abstimmen.
Wohnen die Eigentümer vor Ort?
Mit besten Grüßen

Und plötzlich ist sie nicht mehr schützenswert, unsere alte Mühle. Warum bloß? Kann uns das mal einer erklären?

Am einfachsten ist es natürlich, sich auf Paragraphen im aktuellen Gesetzesdschungel zu berufen, denn da kennt sich ja eh nur der Amtsschimmel aus. Da ich aber schon lange mit Richtlinien, Verordnungen, Gesetzen und Normen zu tun habe, habe ich keine Angst davor, mir die entsprechenden Gesetzestexte und Paragraphen selbst anzuschauen. Am einfachsten ist es immer, zunächst einmal in Wikipedia nachzuschauen. Denn meistens ist frau nicht die erste, die sich mit einem bestimmten Thema und den Regularien dazu beschäftigt. Und tatsächlich wird man im Wikipedia-Artikel „Hessisches Denkmalschutzgesetz“ fündig:

„Einzelkulturdenkmäler

Ein Gegenstand ist Kulturdenkmal, wenn an seinem Erhalt aus

  • künstlerischen,
  • wissenschaftlichen,
  • technischen
  • geschichtlichen
  • städtebaulichen Gründen

ein öffentliches Interesse besteht. Ist eines dieser Kriterien erfüllt, handelt es sich um ein Kulturdenkmal und es ist schutzwürdig (§ 2 Abs. 1).“

Der Originaltext des Hessischen Denkmalschutzgesetzes (HDSchG) sagt auch nicht mehr aus, lässt sich bloß viel schwerer verstehen:

„§ 2 HDSchG – Begriffsbestimmung

(1) Kulturdenkmäler im Sinne dieses Gesetzes sind bewegliche und unbewegliche Sachen, Sachgesamtheiten und Sachteile einschließlich Grünanlagen, an deren Erhalt aus künstlerischen, wissenschaftlichen, technischen, geschichtlichen oder städtebaulichen Gründen ein öffentliches Interesse besteht.“

Mal kurz überlegen… Ein öffentliches Interesse aus künstlerischen, wissenschaftlichen oder städtebaulichen Gründen sehe ich auch erst mal nicht, kann ich aber auch nicht grundsätzlich ausschließen. Aber was ist mit „technisch“ oder „geschichtlich“? Auf beide Punkte bin ich doch in meinem ersten Pladoyer für die Schlagmühle eingegangen, sogar mit Unterstützung eines Mitarbeiters des Amtes für Bauen und Umwelt des Vogelsbergkreises!

Die Schlagmühle wurde wohl ursprünglich zur Ölgewinnung betrieben.3 Für den Ort Frischborn war und ist die Schlagmühle so wichtig, dass der damals noch unbefestigte Weg vom Ort dorthin heute noch als befestigte Straße den Namen „Schlagmühlenweg“ trägt. […]
Wann der Mühlenbetrieb in der Schlagmühle genau eingestellt wurde, konnten wir bislang noch nicht in Erfahrung bringen, aber spätestens in den frühen 1920er Jahren änderte sich die Nutzung von der Ölmühle zum Ort der Stromerzeugung durch Wasserkraft. Dazu lässt sich im Buch „Frischborn und seine Feuerwehr“ Folgendes lesen: „Im Gemeinderatsprotokoll vom Februar 1924 steht, dass die vorhandene Wasserkraft an der Schlagmühle […] ebenfalls zur Stromerzeugung genutzt werden soll. 1925 im Februar erhält Mauermeister Konrad Habermehl den Bauauftrag.“5 Noch heute ist anhand alter Fotos nachvollziehbar, wo die neu gebaute Röhre das Wasser des Mühlbachs bis zum Anfang der 1950er Jahre zur Turbine geleitet hat. Metallene Reste der technischen Konstruktion aus dem „Lichthäuschen“ könnten sich noch im Außenbereich befinden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden etwa 400 Heimatvertriebene in Frischborn eine Unterkunft7, einige davon auch in der Schlagmühle, wie uns mehrere Frischbörner:innen berichteten. Deren Eltern oder Großeltern waren entweder für Monate oder gar Jahre familienweise in einem der Zimmer untergebracht oder wurden sogar dort geboren. Viele sind über ihre Erinnerungen immer noch mit der Schlagmühle verbunden […]
Als bauartliche Besonderheit wurde, wohl um 1880, wie Zimmermeister […] uns sagte, unter dem ursprünglichen Dachstuhl eine Art Galgenstruktur erbaut, vermutlich um den darunter befindlichen Deckenbalken mit einer Eisenstange nach oben abzuhängen und so ein Brechen zu verhindern.

Diese Galgenstruktur, so sagte uns der Zimmerermeister, der viel mit der Sanierung von Fachwerkhäusern beschäftigt ist, sei aus seiner Sicht einmalig. Sie ist wohl darauf zurück zu führen, dass sich unter der Last des auf dem Dachboden gelagerten Leinsamens für die Ölgewinnung einer der Deckenbalken enorm durchgebogen hatte. Eine vermutlich einmalige Holzkonstruktion also.

Also nochmal: Ist unsere alte Mühle bloß nicht schön genug? Seltsamerweise kam das „Umdenken“ beim Landesamt für Denkmalschutz, nachdem ich Fotos vom Innern der Mühle geschickt hatte. Natürlich ist dort nicht mehr viel von der alten Mühle zu sehen, deshalb wollen wir ja zurückbauen! Und ob es weitere bauartliche/technische Besonderheiten gibt, können wir doch noch gar nicht abschätzen. Das ist doch alles unter Rigips, Nut- und Federbrettern, Teppichboden und Raufasertapete verborgen, was ich in einem zweiten Schreiben, das mit den Innenfotos ans Landesamt für Denkmalpflege ging, oft genug beschrieben habe.

Ist denn ein Gebäude erst dann schützenswert, wenn es schon saniert ist?

Moment mal, hab‘ ich vielleicht zu oft geschrieben, dass wir die Mühle auf jeden Fall, so weit wie möglich und bekannt, in ihren ursprünglichen Zustand zurück versetzen wollen…?

Das wäre eine Erklärung: Es kostet ja dann nur unser Geld…


3 Frischborn und seine Feuerwehr, Geschichte & Geschichten, 1883-2008, Verein Freiwillige Feuerwehr Frischborn e.V., Vulkandruck Lauterbach GmbH, 2008, S. 30
5 ebenda, S. 50
7 ebenda, S. 50